Aktueller Rundbrief
An die Mitglieder, Freunde und Förderer der Luther-Gesellschaft Zum Reformationstag 2024
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der Luther-Gesellschaft,
das Reformationsfest im Jahr 2024 steht unter dem Vorzeichen einer besorgniserregenden Weltsituation – der Krieg in der Ukraine; die Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten; die Drohungen gegen Taiwan; die Bürgerkriege im Sudan und in der Sahelzone; die bevorstehende Wahl in den Vereinigten Staaten und die gesellschaftlichen Umbrüche und Sorgen hier in Deutschland: es verbreitet sich ein Gefühl der Verunsicherung und der Beunruhigung, weil keiner dieser Konflikte und keine Entscheidung begrenzt ist, sondern das beängstigende Potential für einen Flächenbrand in sich trägt.
Die Situation vor 500 Jahren war nicht viel anders. Das Jahr 1524 markiert den Ausbruch des Bauernkrieges, der sich bis Mitte 1525 hinzog. Die Bauern beriefen sich mit ihren Freiheitsforderungen auf die Reformation. Luther bezog 1525 mit einer „Ermahnung zum Frieden“ Stellung, in der er zum Verzicht auf Gewalt aufrief, aber auch Verständnis für die Forderungen der Bauern erkennen ließ und die Herren zum Einlenken mahnte. Wenig später aber ergänzte er diese Schrift durch eine Aufforderung an die Obrigkeit, dem gewalttätigen Aufstand der Bauern ein Ende zu setzen. Der Aufstand wurde grausam niedergeschlagen und die Aufrührer, darunter Thomas Müntzer, unnachsichtig bestraft.
Die Tagungen der Luther-Gesellschaft in diesem und im kommenden Jahr stellen diese Auseinandersetzungen ins Zentrum. Wir haben uns Ende September dieses Jahres in Wittenberg mit der „anderen Reformation“, dem häufig so genannten „linken Flügel“ der Reformation beschäftigt – Andreas Bodenstein gen. Karlstadt, Thomas Müntzer, die beginnende Täuferbewegung. Eine hochinteressante Tagung, die diese Bewegungen in Referaten und Podiumsdiskussionen nachzeichnete und zeigte, wie sich Luther und seine Wittenberger Kollegen abgrenzten von Positionen, die sich auf den Impuls der Reformation beriefen. Im kommenden Jahr, vom 3. bis 5. Oktober 2025 in Wittenberg, wird Thomas Müntzer und der Bauernkrieg im Zentrum der Herbsttagung stehen. Es wird dabei sicher auch die Deutung und der theologische Umgang mit sozialen und politischen Krisen heute zu bedenken sein.
Der Göttinger Professor für Reformationsgeschichte, Thomas Kaufmann, hat in seinem gerade erschienenen Buch „Der Bauernkrieg – ein Medienereignis“ (Freiburg 2024) darauf hingewiesen, dass auch die Auseinandersetzung Luthers mit Erasmus von Rotterdam über die Freiheit des Willens, die er in seiner Schrift „De servo arbitrio – Vom unfreien Willen“ (1525) führt, berührt ist von den gleichzeitig ablaufenden kriegerischen Wirren. Luther weist in der Schrift „Vom unfreien Willen“ nämlich darauf hin, dass das von uns erfahrene Handeln Gottes in Natur und Geschichte schwer vereinbar ist mit der christlichen Überzeugung, dass Gottes Wirken von Liebe bestimmt ist. Der Bauernkrieg und seine sinnlose Grausamkeit passen nicht zu dem Gott, von dem Jesus Christus spricht. Luther unterscheidet daher zwischen der Wirksamkeit Gottes, der als allmächtige Bewegung alles geschichtliche Geschehen in Gang hält – unbekümmert darum, ob es gut oder böse ist. Luther spricht hier vom „Deus absconditus“, vom verborgenen Gott. Wir erfahren diesen schweigenden und fernen Gott.
Der Glaube aber hält sich an den in Christus offenbaren Gott, den „Deus revelatus“, der verheißen hat, dass das Heil und die Erlösung der Menschheit das Ziel seiner Wege ist. Dieser Glaube ist immer angefochtenes Vertrauen. Er steht zwischen der Verheißung einerseits und der geschichtlichen Erfahrung andererseits und vertraut entgegen dem Augenschein darauf, dass die Geschichte bestimmt ist vom Liebeswillen Gottes, und dass das am Ende sich zeigen wird: dass auch das verborgene, schweigende, der Verheißung widersprechende Handeln Gottes zuletzt von seiner Liebe bestimmt ist.
Wie Luther damals angesichts des Bauernkriegs, so stehen auch wir heute in den vielen krisenhaften Ereignissen der Gegenwart vor dem unberechenbaren Handeln des schweigenden Gottes. Und wir stehen damit vor der Frage, ob auch wir wie Luther durch dieses dunkle Handeln und die dunkle Geschichte hindurch darauf vertrauen, dass die Liebe und nicht der Kampf und das Chaos das Gesetz der Geschichte ist und sich am Ende durchsetzen wird.
Die Luther-Gesellschaft hat auf der Herbsttagung 2024 auch den Martin-Luther-Preis für den theologischen Nachwuchs vergeben, der dank der Unterstützung der Evangelischen Bank auch mit einem Geldpreis verbunden ist. Frau Dr. Ulrike Peisker wurde ausgezeichnet für die Dissertation „Zwischenmenschliche Vergebung. Phänomenologische Betrachtungen in protestantischer Perspektive“. Frau Dr. Christine Schoen wurde ausgezeichnet für die Arbeit „Der böhmische Utraquismus als Konfession im 16. Jahrhundert“. Die Vorstellungen der Arbeiten durch die Preisträgerinnen werden Sie in der Zeitschrift LUTHER nachlesen können.
Nun wünschen wir Ihnen allen zum Reformationsfest Gottes Segen
Ihre
Prof. Dr. Notger Slenczka | Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt |
Erster Präsident | Zweite Präsidentin |
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