Martin-Luther-Preis 2024: Ulrike Peisker und Christine Schoen
Der Martin-Luther-Preis 2024 für den akademischen Nachwuchs wurde am 27. September 2024 in der Schlosskirche zu Wittenberg verliehen.
Dr. Ulrike Peisker erhielt den Preis für ihre Dissertationsschrift „Zwischenmenschliche Vergebung? Die Gestalt und Möglichkeit zwischenmenschlicher Vergebung von Schuld in unseren Beziehungen. Phänomenologische Betrachtungen in protestantischer Perspektive".
1993 | geboren |
2012 | Abitur |
2012-2016 | Studium der evangelischen Theologie und Anglistik an der Universität des Saarlandes |
2016-2019 | Studium der evangelischen Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz |
2019 | Magistra Theologiae |
Seit 2019 | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Systematische Theologie und Sozialethik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz |
2023 | Promotion zum Dr. theol. an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Prof. Dr. Heiko Schulz) |
Die Studie widmet sich der Frage, wie die Gestalt und Möglichkeit zwischenmenschlicher Vergebung zur Sprache gebracht werden kann. Dabei geht sie phänomenologisch vor und versucht, einen dem Phänomen abgetrotzten Begriff zwischenmenschlicher Vergebung zu gewinnen und hermeneutisch mittels der protestantisch-lutherischen Tradition theologisch einzuordnen: Durch eine rechtfertigungstheologisch fundierte, präzise Verhältnisbestimmung göttlicher und menschlicher Vergebung kann das dem Phänomen abgerungene Verständnis zwischenmenschlicher Vergebung aus der Perspektive des christlichen Glaubens zur Sprache gebracht werden. Dabei stellt sich heraus, dass die vielfach bemühte Analogisierung („Wir sollen vergeben, wie Gott vergeben hat.“) oder kausale Deduzierung („Wir sollen vergeben, weil Gott vergeben hat.“) nicht statthaben kann und sowohl zu einem ethisch verkürzten Begriff göttlicher Vergebung als auch zu einem heillos überfrachteten Begriff menschlicher Vergebung führen würde. Stattdessen dient die protestantisch-lutherische Tradition als hermeneutischer Schlüssel, um zwischenmenschliche und göttliche Vergebung als ganz und gar unterschiedlich zu akzentuieren, die angemessener verstanden wären, wenn man sie lediglich als Homonyme zur Sprache bringen würde. Zwischenmenschliche Vergebung kann auf dieser Grundlage als ein Phänomen beschrieben werden, das zwar grundsätzlich möglich, aber nicht in der Eigenmacht und -initiative der Vergebenden liegt, sondern gewissermaßen „fremdverschuldet“ ist. Die Untersuchung weist zwischenmenschliche Vergebung insofern als ein Phänomen aus, das, entgegen der Annahme zahlreicher anderer Entwürfe, nicht adäquat als Tugend, als Kompetenz und als eigens in Angriff zu nehmender und absichtsvoll voranzutreibender Prozess zu beschreiben ist, sondern als etwas, das erst abseits der Intention zu vergeben überhaupt zur Erscheinung kommt.
Dr. Christine Schoen erhielt den Preis für ihre Dissertationsschrift „Der böhmische Utraquismus als Konfession im 16. Jahrhundert“.
1991 | geboren in Saarbrücken |
2010-2017 | Studium der evangelischen Theologie in Saarbrücken, Mainz, Prag, Leipzig und Wuppertal; Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes; Erstes Theologisches Examen |
2017-2021 | Arbeit an der Dissertationsschrift; Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes |
2022 | Promotion zum Dr. theol. an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal |
2021-2023 | Vikariat in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; Zweites Theologisches Examen |
2023-2024 | Pfarrerin im Kirchenbezirk Bernhausen |
Seit 2024 | Pfarrerin im Kirchenbezirk Balingen |
Die Studie stellt die böhmische Reformationsgeschichte in ihrem frühneuzeitlich-europäischen Kontext in den Mittelpunkt: Der Großteil der böhmischen Bevölkerung gehörte im 15. und 16. Jahrhundert einer auf das Königreich Böhmen beschränkten Kirche an, die sich auf Jan Hus und seine Mitstreiter berief. Die Abendmahlsfeier unter beiderlei Gestalt (sub utraque specie) praktizierend und deshalb als Utraquisten bezeichnet, führten die Glieder dieser Kirche ein partikular- und landesrechtlich legitimiertes Sonderleben am Rande der Papstkirche. Als Schismatiker geduldet, sahen sich die Utraquisten selbst als legitime Glieder der römischen Kirche an. Mit Beginn und unter dem Einfluss der Wittenberger Reformation setzte jedoch ein Prozess ein, der dazu führte, dass die Mehrheit der Utraquisten sich 1575 auf Grundlage der Confessio Bohemica zur Reformation bekannte. Die Studie wertet erstmals das einschlägige und bislang weitestgehend unübersetzte Quellenmaterial umfassend aus und rekonstruiert, wie sich der böhmische Utraquismus von einer vornehmlich rituell-liturgisch devianten Erscheinungsform des lateineuropäischen Christentums in Wechselwirkung mit der Wittenberger Reformation zu einer eigenständigen reformatorischen Konfessionsgemeinschaft entwickelte. Eine besondere Rolle kam in diesem Prozess den böhmischen Schülern Luthers und späterhin Melanchthons zu, die lutherische Lehrgehalte vor dem Hintergrund hussitischer Traditionen rezipierten, sie in die heimische Lehre eintrugen und in zentralen kirchlichen Ämtern im Utraquismus multiplizierten. Mit der Erschließung des Konfessionsbildungsprozesses im Utraquismus stellt die Studie den ganz eigenen Charakter der böhmischen Reformation heraus und weist zudem die reiche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte von Martin Luthers Lehre im Königreich Böhmen nach, wodurch sie einen weiteren Beleg für deren Sprengkraft ob ihrer innovativen Qualität liefert.