gegründet 1918 in Wittenberg

Martin-Luther-Preis 2018: Henning Reinhardt

Der Martin-Luther-Preis 2018 für den akademischen Nachwuchs wurde am Freitag, den 28. September 2018 in der Schlosskirche in Wittenberg verliehen. Herr Pfarrer Henning Reinhardt erhielt den Preis für seine Dissertation „Martin Luther und die Wittenberger Konkordie (1536)“.

 Pfarrer Henning Reinhardt

 1975  geboren in Hofgeismar
 1994-2001    Studium der Evangelischen Theologie in Oberursel, Marburg und Tübingen;  
 Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes; 
Erstes Theologisches Examen
 2002-2016  Arbeit an der Dissertation „Martin Luther und die Wittenberger Konkordie (1536)“  
 (Prof. Dr. Dorothea Wendebourg, Berlin);
 Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung
 2006-2008  Vikariat in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck; 

 Zweites Theologisches  Examen
 2008  Ordination
 2008-2011  Repetent an der Hessischen Stipendiatenanstalt in Marburg
 seit 2011  Gemeindepfarrer in Beiseförth-Malsfeld
 2017  Rigorosum an der Humboldt-Universität zu Berlin
   verheiratet mit Verena Reinhardt
   drei Kinder (Marlene, Johannes und Anne)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Name ‚Wittenberger Konkordie‘ bezeichnet den Versuch einer innerevangelischen Verständigung in der Lehre vom Abendmahl und in einigen weiteren strittigen Fragen, der nach einer jahrelangen und wechselvollen Vorgeschichte, die im Jahr 1530 begann, im Mai 1536 auf dem Wittenberger Konkordienkonvent zwischen Theologen der oberdeutschen Reichsstädte (z. B. Straßburg, Augsburg, Ulm, Esslingen, Biberach, Isny, Lindau) und Kursachsens zu einem vorläufigen Abschluss kam. Am Anfang der Bemühungen um diese Verständigung steht der Straßburger Theologe Martin Bucer. Mit ihm und nicht mit Martin Luther beginnt die Geschichte der Wittenberger Konkordie. Luther musste für dieses Unternehmen zunächst gewonnen, seine Hoffnung auf die Möglichkeit einer solchen Verständigung erst geweckt werden.
Die vorgelegte Arbeit trägt den Titel „Martin Luther und die Wittenberger Konkordie (1536)“. Sie möchte das Verhältnis, das zwischen Martin Luther und der Wittenberger Konkordie besteht, in verschiedenen Hinsichten klären. Insbesondere fragt sie nach Luthers Beitrag zur Wittenberger Konkordie, nach seinem Verständnis der Konkordie, nach seiner Selbstdeutung im Prozess der Auseinandersetzung und nach dem Gewicht, das er diesem Versuch einer Übereinkunft beilegte.
Methodisch versucht die Arbeit, die Vorgeschichte und den Konvent konsequent als einen Prozess wechselseitiger Rezeption und Bezugnahme zu begreifen und zu bearbeiten. Deutlicher und systematischer als dies in den vorangehenden Forschungsbeiträgen (maßgeblich sind hier vor allem die Arbeiten von Walther Köhler, Ernst Bizer und Hans Grass) geschehen ist, sollen so die verschiedenen Äußerungen Luthers und anderer in ihrem Verhältnis zueinander wahrgenommen und profiliert werden. Aufgrund der historischen Konstellation muss vor allen Dingen die Kommunikation zwischen Luther und Bucer in dieser Weise analysiert werden: Bucer wird als Leser und Zuhörer Luthers und Luther als dessen Leser und Zuhörer verstanden. Auf diese Weise wird auch der Frage nachgegangen, welche Auffassung sich Luther im Verlauf der Vorgeschichte und der Zusammenkunft in Wittenberg von Bucers abendmahlstheologischer Position machen konnte.
Inhaltlich zuspitzen kann man den den Konkordienbemühungen vorangehenden Streit auf die Frage, in welcher Weise Christus im Abendmahl gegenwärtig ist. In seiner Auseinandersetzung mit Luther hatte Zwingli als äußerstes Zugeständnis konzediert, dass Leib und Blut Christi in der Erinnerung der gläubigen Kommunikanten gegenwärtig seien, aber niemals außerhalb dieser Sphäre. Luther hingegen hatte auf dem Wortlaut der Einsetzung beharrt und festgehalten, dass Leib und Blut Christi unabhängig von allem Glauben der Empfänger äußerlich gegenwärtig seien und leiblich genossen werden könnten. Bucer hatte ab 1530 eine eigenständige Position entwickelt: Leib und Blut Christi sind wirklich gegenwärtig, aber sie können wegen der grundsätzlichen Impatibilität des zu Gott erhöhten Leibes und Blutes nicht wirklich gegessen und getrunken werden. Man könne allenfalls – gleichsam als rhetorische Figur – sagen, dass man im Abendmahl Leib und Blut esse, wenngleich dies im eigentlichen Sinne nicht der Fall sei.
Als die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit können folgende Punkte festgehalten werden:
1. Luther war die den Verlauf der Verständigungsbemühungen eindeutig dominierende Person: Er reklamierte für sich vollkommen selbstverständlich die Position dessen, vor dem sich die aus seiner Sicht einer Häresie verfallene Gegenseite mit ihrer Lehre zu verantworten hatte. Er nahm für sich in Anspruch, dass er die Agende der zu behandelnden Themen festlegen konnte und dass sich sein Gegenüber nach diesen Vorgaben zu richten hatte. Luther erhob diese Ansprüche aber nicht nur, er setzte sie gegenüber Bucer und den anderen oberdeutschen Theologen auch tatsächlich durch. Er bestimmte die Agenda. Exemplarisch wird dies etwa deutlich an den Vorgaben, die Luther Bucer 1530 bei dessen Besuch auf der Coburg für das weitere Verfahren machte und an der durch seine Ablehnung gescheiterten Veröffentlichung der von Bucer ihm zur Begutachtung vorzulegenden Einigungsschrift. Auch auf dem Konvent selbst legte Luther die Themen fest, über die verhandelt werden musste: Abendmahl, Taufe und Schlüsselgewalt, ius reformationis. Er bestimmte die theologischen Anforderungen, denen die Gegenseite zu entsprechen hatte. Er sprach am Ende der jeweiligen Gesprächsgänge über Abendmahl, Taufe und Schlüsselgewalt das abschließende und entscheidende Urteil über die Ausführungen der Oberdeutschen.
Erkennbar ist bei aller persönlichen Dominanz Luthers aber auch sein Bemühen darum, andere Theologen seiner Seite im Verlauf der Vorgeschichte und auf dem Konkordienkonvent in die Beratungen miteinzubeziehen. Ihm lag erkennbar am Urteil seiner Freunde und Vertrauten; außerdem war ihm klar, dass bestehende Widerstände gegen eine Verständigung mit Bucers Seite nur unter Einbeziehung der Konkordienkritiker seines Lagers überwunden werden konnten.
Luthers einzigartige Position erklärt gleichzeitig, warum der Konkordienprozess sich über fast sechs Jahre hinzog: Er verlor im November 1531 das Vertrauen zu Bucer und war überzeugt, dieser gebe eine Verständigung nur vor. Ausschlaggebend dafür war ein Brief Bucers an Melanchton, mit dem der Straßburger nach Zwinglis Tod in der Schlacht von Kappel dessen Andenken hatte schützen wollen: Luther deutete dies als Parteinahme für einen Ketzer, sah Bucer darum - unberechtigterweise - auch wieder als abendmahlstheologischen Gefolgsmann Zwinglis an und brach die Bemühungen um eine Konkordie vollkommen ab. Erst im September 1534 gewann die Fürsprache Melanchthons, der zunehmend Gefallen an der von Bucer gesuchten Verständigung fand, Luther erneut für den Versuch einer Einigung.
2. Luther verstand sich in den Auseinandersetzungen nicht nur als Vertreter einer bestimmten theologischen Lehrmeinung, sondern vor allen Dingen als Theologe, dem vor Gott eine nicht delegierbare Verantwortung für die Wittenberger Gemeinde und die an seiner Person orientierten Christen und Kirchenwesen zukam. Seiner festen Überzeugung nach war er aufgrund seines geistlichen Amtes verpflichtet, öffentlich falschen Überzeugungen entgegenzutreten, um so die Gemeinden der eigenen Seite vor Verwirrung und verunsichernden Zweifeln zu schützen, die den rechten Glauben und damit auch das Heil gefährden konnten. Die Leidenschaft, mit der Luther einerseits unnachgiebig um die Abendmahlslehre stritt und mit der er andererseits emotional überschwänglich auf Situationen reagierte, in denen er den Streit überwunden sah, lässt sich in ihrer Tiefe nur vor diesem Hintergrund angemessen verstehen.
3. Luther verstand die Auseinandersetzung um das Abendmahlsverständnis nicht primär als einen Konflikt zwischen Gelehrten, sondern als eine Konfrontation zwischen Gott und Satan. Sollte die durch die Lehrdivergenz verlorengegangene kirchliche Einheit wiederhergestellt werden, war dies nach seiner Auffassung nur möglich, indem Gott der Gegenseite wieder zur rechten Einsicht verhalf. Bei allem Bemühen um konhärentes Argumentieren sah er die gedankliche Stringenz seiner Ausführungen nicht als Mittel an, das unausweichlich zum Einlenken der Gegenseite führen müsste. Gott musste die Einheit neu schenken. Aufgabe der beteiligten Menschen konnte es nur sein, zu beten, Gott Raum und Zeit für sein Wirken zu geben, den erreichten Stand der Verständigung nicht zu gefährden und in der brieflichen und mündlichen Kommunikation a posteriori das göttliche Wirken festzustellen und schließlich auch schriftlich zu ratifizieren.
4. Ihrem Inhalt nach umfasste die Wittenberger Konkordie aus Luthers Sicht eine Verständigung zu Abendmahl, Taufe und Schlüsselamt (Absolution in der Beichte). Entscheidend für die Beurteilung der Konkordie ist, dass Luther die Eigenart der Bucerschen Position (s.o.) aufgrund seines eigenen Urteilsrasters nicht erfasste. Für ihn gab es nur die eigene Position oder die Zwinglis. Zwischen 1530 und 1536 schwankte er in seiner Wahrnehmung und Beurteilung der von Bucer unverändert vertretenen Lehre deutlich: Mal sah er in ihm einen Gefolgsmann Zwinglis, der ihm gegenüber nur zu rhetorischen und taktisch motivierten Zugeständnissen bereit war, dann wieder als einen Zurückgewonnenen, in dessen Lehraussagen lediglich noch ein paar Inkonsequenzen überdauerten, die mit der Zeit verschwinden würden. 1536 gab Luther dem Abendmahlsartikel in Wittenberg seine Unterschrift in der falschen Überzeugung, dass Bucer für seine eigene Position gewonnen worden war. Auch zu Taufe und Schlüsselamt sah er (hier zu Recht) in den für ihn erheblichen Punkten den Konsens erreicht.
5. Luther war sich bewusst, dass der Streit um das Abendmahl die Sache der Reformation erheblich geschwächt hatte und ihren Fortgang beeinträchtigen musste. Er war allerdings zu keiner Zeit bereit, politisch motivierte Zugeständnisse zu machen. Er ging sogar – entgegen älteren Festlegungen - so weit, die Frage nach der Möglichkeit eines politischen Bündnisses von der Frage der Lehreinheit zu entkoppeln, um den besonders von Landgraf Philipp ausgeübten Druck von den theologischen Verhandlungen zu nehmen. Einer Umdichtung des Lobgesangs des Simeon (Lukas 2,29-32) lässt sich entnehmen, welche Bedeutung er selber der Konkordie beilegte: Im Wissen um die seiner Person zukommende besondere Bedeutung sah er in ihr sein persönliches Vermächtnis, das er den evangelischen Gemeinden im Fall seines Todes geordnet hinterlassen wollte.

letzte Änderung: Donnerstag, 06. Oktober 2022